ANTWORTEN AUF IHRE FRAGEN
Stuhlentleerungsstörung
Was versteht man unter Stuhlentleerungsstörung?
Antwort: Funktionsstörungen des Beckenbodens mit Beckenbodensenkung und Beteiligung von Enddarm bzw. Schließmuskel entwickeln sich durch eine Bindegewebsschwäche bzw. Geburtstraumata. Dies kann zur Ausbildung eines inneren Darmvorfalls zum Schließmuskel (anorektaler Prolaps) und zur Stuhlentleerungsstörung führen. Die Patienten sind nicht in der Lage, den Enddarm in einer Portion zu entleeren und müssen über einen Zeitraum von einigen Stunden mehrmals auf die Toilette, um kleine Stuhlportionen, häufig mit dem Gefühl der unvollständigen Entleerung, abzusetzen. Die Patienten empfinden dies aufgrund des häufigeren Stuhlgangs und der verminderten Stuhlkonsistenz des im Enddarm verbleibenden Stuhls als Durchfall, obwohl es sich hier um eine Stuhlentleerungsstörung handelt. Bei gleichzeitig vorkommender Schließmuskelschwäche kann es auch zur Stuhlinkontinenz kommen.
Was bedeutet Stuhlinkontinenz?
Antwort: Der unfreiwillige Abgang von flüssigem oder festem Stuhl wird als Stuhlinkontinenz, der unfreiwillige Abgang von Winden als Analinkontinenz bezeichnet. Die für die Kontinenz verantwortlichen Strukturen („Kontinenzorgan“) sind der intakte Beckenboden, der Enddarm mit Reservoirfunktion, die Schleimhaut mit Resorptionskapazität, der innere und der äußere Schließmuskel (M. sphincter ani internus und externus), der M. puborectalis, die sensible Analschleimhaut und die intakte nervale Versorgung mit rektoanalem Inhibitions- und Kontraktionsreflex. In der Regel müssen mehrere Faktoren zusammentreffen, um eine Stuhlinkontinenz auszulösen. Einzelne Störungen werden durch die intakten Kontinenzfunktionen kompensiert.
Wie häufig kommt die Stuhlinkontinenz vor?
Antwort: Die Anal- bzw. Stuhlinkontinenz ist häufig. Nach Schätzungen müssen wir in Deutschland davon ausgehen, dass etwa 15 bis 20 % der Bevölkerung im Alter von 25 bis 75 Jahren eine Urininkontinenz, 5 bis 10 % eine Anal- bzw. Stuhlinkontinenz und 1 bis 5 % eine kombinierte Inkontinenz aufweisen.
Gibt es Risikofaktoren für die Inkontinenz?
Antwort: Unabhängige Risikofaktoren bei Frauen sind weiße Hautfarbe, Depression, Durchfall und Urininkontinenz; bei Männern ist es nur die Urininkontinenz. Als assoziierte Risikofaktoren für die Anal-Stuhlinkontinenz gelten höheres Alter, weibliches Geschlecht, Schwangerschaft bzw. Entbindung, eine Komorbidität mit Reduktion des allgemeinen Gesundheitsstatus mit Immobilität und die Unterbringung in Alten- bzw. Pflegeheimen.
Wichtig ist, dass die Verstopfung durch die Stuhlretention im Rektum häufiger zu einer Inkontinenz führt. Das bedeutet, dass durch die Behandlung der Verstopfung auch die Stuhlinkontinenz verbessert werden kann. Weiterhin ist klinisch wichtig, dass Patienten mit Stuhlinkontinenz und Stuhlentleerungsstörungen das vermehrte Absetzen von kleinen Stuhlportionen als „Durchfall“ empfinden können. Die eigentliche wässrige Diarrhoe sollte immer zur Abklärung infektiöser Ursachen führen.
Ist die Stuhlinkontinenz teuer?
Antwort: Es wird vermutet, dass in den USA das Vorliegen einer Inkontinenz mit höheren Kosten von ca. 2.800 US-Dollar im Vergleich zu Patienten ohne Inkontinenz verbunden ist. Ein Großteil der sozioökonomischen Belastungen durch die Inkontinenz entsteht hierbei durch indirekte Kosten (Verlust der Produktivität, Einschränkung der Lebensumstände), weniger durch direkte Kosten (Vorlagen, Hygieneprodukte, Arzt-Pflegeversorgung). Schätzungen zeigen, dass der Bedarf für die Inkontinenz- bzw. Stomaversorgung in Deutschland etwa 17 % der Medizinprodukte beträgt.
Welche Ursachen hat die Inkontinenz?
Antwort: Es können verschiedene Ursachen der Inkontinenz vorliegen, die auch kombiniert auftreten. Durch den Stuhlverhalt im Enddarm wird der Stuhl eingedickt, sodass sogar Kotsteine entstehen können. Ursächlich für die verlängerte Stuhlverweildauer sind meistens Stuhlentleerungsstörungen durch Beckenbodensenkung und rektoanalen Prolaps, aber auch Funktionsstörungen des Schließmuskels wie u. a. der Anismus oder der spastische Beckenboden. Bei Obstruktion wird der Stuhl durch die vermehrte Sekretion verflüssigt. Dieser flüssige Stuhl kann die Obstruktion passieren und führt zu häufigen Stuhlabgängen mit dem Gefühl der unvollständigen Entleerung, die die Patienten häufig als Durchfall fehlinterpretieren.
Die Inkontinenz durch Störung der rektalen Reservoirfunktion kann durch die chirurgische Entfernung des Rektums bei Rektumkarzinom bzw. chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, aber auch durch eine Strahlenproktitis bedingt sein. Auch hierdurch werden vermehrte Entleerungen kleinerer Stuhlportionen bedingt, die zusätzlich durch die entzündlichen Veränderungen eine verminderte Konsistenz aufweisen.
Die sensorische Inkontinenz entsteht durch Nervenschädigungen im Rahmen von neurologischen Erkrankungen oder bei einer Beckenbodensenkung mit Anal- bzw. rektoanalem Prolaps, bei Hämorrhoiden, bei Diarrhoe bzw. durch akute oder chronische Entzündungen oder durch chirurgische Verletzungen.
Die muskuläre Inkontinenz kann durch eine Beckenbodeninsuffizienz, traumatische Ereignisse (z. B. Geburten, Dammriss), Fisteln bzw. Fisteloperationen, Tumoren bzw. Tumoroperationen, infiltrierende Abszesse, Überdehnung durch Obstipation oder angeborene Fehlbildung (Analatresie) bedingt sein.
Die neurogene Insuffizienz findet sich bei Schlaganfall, Demenz, degenerativen Erkrankungen, multipler Sklerose, aber auch bei peripherer Neuropathie (z. B. bei Diabetes mellitus), Druckläsionen durch Tumore oder Metastasen, bei Querschnittslähmung, beim Cauda-equina-Syndrom oder der Spina bifida.
Auch Medikamente wie Psychopharmaka, Abführmittel in hoher Dosierung oder psychische bzw. psychiatrische Störungen wie Psychosen bzw. Konflikte mit Betreuungspersonen können zu einer Inkontinenz beitragen.
Welche Formen der Inkontinenz gibt es?
Antwort: Klinisch können unterschiedliche Formen der Inkontinenz differenziert werden.
- Feininkontinenz
- Grobinkontinenz
- Dranginkontinenz
- Überlaufinkontinenz
- passive Inkontinenz
- Kombinationen
Die Feininkontinenz beschreibt den unfreiwilligen Abgang von Winden bzw. Flüssigkeit, die Grobinkontinenz den Abgang von Stuhl. Die Dranginkontinenz beschreibt die Notwendigkeit, zeitnah eine Toilette aufsuchen zu müssen, die Überlaufinkontinenz den Verlust von verflüssigtem Stuhl bei einer rektalen Stuhlimpaktierung. Die passive Inkontinenz ist meistens Folge einer schweren muskulären Schwäche mit fehlender Haltefunktion.
Wie sind die unterschiedlichen Schweregrad der Inkontinenz?
Antwort: Der Schweregrad der Stuhlinkontinenz kann nach verschiedenen Schemata eingeteilt werden. Klinisch wird die Einteilung der Stuhlinkontinenz häufig nach Parks durchgeführt, wobei drei Grade differenziert werden können:
- Grad 1: Leichte Form – Unkontrollierter Abgang von Winden
- Grad 2: Mittlere Form – Unkontrollierter Abgang von dünnflüssigem Stuhl
- Grad 3: Schwere Form – Unkontrollierter Abgang von geformtem Stuhl
Praktikable und geprüfte Klassifikationen zur Erfassung der Symptomenschwere sind u. a. die Revised Fecal Incontinence Scale (RFIS) und der Cleveland Clinic Florida Fecal Incontinence Score.
Die Revised Fecal Incontinence Scale (RFIS) besteht aus 5 Fragen, modifiziert nach. Ein Score von 4–6 Punkten entspricht einer leichten (milden), ein Score von 7–12 einer moderaten und ein Score über 12 einer schweren Inkontinenz. Eine Verminderung um 4 Punkte entspricht einer klinisch relevanten Verbesserung der Inkontinenz.
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Was sollte der Arzt/die Ärztin bei der Basisdiagnostik untersuchen?
Antwort: Die Abklärung einer Stuhlinkontinenz beinhaltet die Basisuntersuchung mit ausführlicher Anamnese mit Medikamentenanalyse und gegebenenfalls mit der Anlage eines Stuhl- bzw. Ernährungstagebuches. Durch die Ernährungsanalyse können Nahrungsunverträglichkeiten (z.B. Milchzucker-, Fruchtzucker-, Sorbitunverträglichkeit) mit Verminderung der Stuhlkonsistenz erfasst werden. Die umfassende körperliche Untersuchung sollte die Inspektion und die Austastung des Anorektums umfassen. Hierdurch kann der erfahrene Arzt bereits Narben, Marisken, prolabierende Hämorrhoiden, einen Analprolaps, die Beckenbodensenkung oder einen klaffenden Analsphinkter sehen bzw. den Sphinkterruhedruck, die Willkürfunktion, den Rektumprolaps und Rektozelen qualitativ ertasten. Diese Untersuchungen sind weiterhin essentieller Bestandteil einer effektiven Diagnostik und können bereits in über 80 % die meisten Ursachen der Stuhlinkontinenz abklären. Zum Nachweis einer Beckenbodensenkung bzw. eines rektoanalen Prolapses kann im Einzelfall ein Defäkationsversuch in sitzender Position hilfreich sein.
Welche speziellen Untersuchungen können durchgeführt werden?
Antwort: Spezielle Untersuchungen können in Beckenbodenzentren durchgeführt werden. Diese Untersuchungen beinhalten die Enddarmspiegelung, die Endosonographie des Enddarms und der Schließmuskel, die Röntgendurchleuchtung bzw. Kernspintomographie während Kontrastmittelentleerung (Defäkographie) bzw. die Druckmessung der Schließmuskel (anorektale Manometrie). Im Einzelfall kann auch die Suche nach Dünndarmvorfällen (Enterocelen) bzw. Dickdarmschlingenbildungen mit durchhängendem Querkolon (Transversoptose) oder Einengung des linksseitigen Dickdarms (Cul-de-Sac Syndrom) sein.
Wie können die Stuhlentleerungsstörungen und die Stuhlinkontinenz behandelt werden?
Antwort: Bei Stuhlentleerungsstörungen sollte immer eine Optimierung der Stuhlkonsistenz mit geformten Stuhl durch die Gabe von löslichen Ballaststoffen erfolgen. Nahrungsunverträglichkeiten wie z.B. eine Milchzucker- bzw. Fruchtzuckerunverträglichkeit sollten diätetisch behandelt werden. Bei unvollständiger Entleerung, Prolaps bzw. Überlaufinkontinenz kann eine sog. Verhaltenstherapie und/oder ein Toilettentraining eingesetzt werden. Hierbei versucht der Patient das Pressen während der Defäkation zu vermeiden und zu definierten Zeiten über die Applikation von Klysmen bzw. Kohlendioxid-bildenden Zäpfchen den Enddarm vollständig zu entleeren. Sinnvoll ist auch im Einzelfall die Stuhlimpaktierung durch einen Hebe-Senkeinlauf zu beseitigen. Ergänzend kann ein Beckenbodentraining und ein Biofeedback-Training (spastischer Beckenboden, Schließmuskelschwäche) eingesetzt werden. Auch Abführmittel (Laxanzien) können zur vollständigen Stuhlentleerung ebenfalls hilfreich sein.
Im Einzelfall müssen chirurgische Verfahren eingesetzt werden (u. a. STARR Operation, Rektopexie, Beckenbodenplastik). Vor einer Operation sollte der Patient immer interdisziplinär, d.h. zusammen mit der Proktologie, Gynäkologie, Urologie und Viszeralchirurgie betreut werden.
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Prof. Dr. Thomas Frieling
Internist, Gastroenterologe, Neurogastroenterologe und Palliativmediziner