ANTWORTEN AUF IHRE FRAGEN
Nahrungsunverträglichkeiten
Welche Bedeutung hat die Ernährung für den Magendarmtrakt?
Antwort: Die klinische Relevanz der Ernährung umfasst drei große Bereiche: Mangelernährung, Adipositas und Nahrungsunverträglichkeiten. Leider spielt die Ernährung in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle, obwohl sie eine große Bedeutung für Prognose, Komplikationen, Verweildauer und Kosten bei vielen Erkrankungen hat. Zahlreiche große Studien haben dies überzeugend dargelegt. So findet eine systematische Beschäftigung mit der sehr häufigen Mangelernährung, u. a. durch professionelle Ernährungsteams, in deutschen Krankenhäusern im Gegensatz zu anderen Ländern praktisch nicht statt. Dies ist erstaunlich, da die Investitionen in Ernährungsteams durch die Reduktion der Komplikationen und Einsparungen der Kosten mehr als kompensiert werden.
Die Ernährung hat zahlreiche Einflüsse auf die Verdauungsfunktionen. Hierbei können die Nahrungsbestandteile die Schleimhautbarriere, das enterische Nerven- bzw. Immunsystem im Darm direkt beeinflussen oder indirekte Einflüsse über die Mikrobiota ausüben (Abbildung).
Liegen die Ursachen der Nahrungsunverträglichkeiten immer im Magendarmtrakt?
Antwort: Während die Nahrungsverdauung in der Regel nicht bemerkt wird, kann sie durch die Bildung von Gasen, Flüssigkeit und Bewegungen bei einigen Patienten mit Störungen der Darm-Hirn-Achse (u. a. Reizdarmsyndrom, Reizmagen) aufgrund ihrer vermehrten Magen-Darm-Empfindlichkeit zu Beschwerden führen (sogenannte viszerale Hypersensitivität). Diese Patienten nehmen normale Magen-Darm-Reize früher und stärker wahr, ohne dass die Verdauung selbst gestört ist.
Bei anderen Patienten kann es zur Konditionierung von Nahrung mit Faktoren außerhalb des Magen-Darm-Traktes kommen, sodass die Beschwerden nicht im Magen-Darm-Trakt entstehen. So können emotionale Befindlichkeiten mit Nahrungsbestandteilen gekoppelt und sozusagen erlernt werden, sodass diese Missstimmungen auftreten, wenn eine bestimmte Nahrung aufgenommen wird. Diese Kopplungen können sich im Verlauf auf andere Nahrungen ausweiten, sodass die „Nahrungsunverträglichkeiten“ auf immer mehr Nahrungsmittel übergreifen.
Wie können Nahrungsunverträglichkeiten nachgewiesen werden?
Antwort: Das grundsätzliche Problem in der Praxis/Klinik ist, dass nahrungsassoziierte Beschwerden überwiegend auf dem subjektiven Befinden und der Bewertung der Patienten beruhen und nur in wenigen Fällen durch Messungen (z. B. Laktose-, Fruktose- und Sorbitexposition mit positivem Wasserstoffatemtest und Beschwerden in Wasserstoffatemtests) objektiviert werden können. Auch Nahrungsallergien bei Erwachsenen finden sich äußerst selten. Da die Ernährung sehr emotional belegt ist, besteht die Gefahr, dass Patienten dogmatisch auf bestimmte Ernährungsgewohnheiten bzw. Diäten fixiert sind. Dies sollte vermieden werden. Biomarker, die Patienten mit bestimmten Nahrungsunverträglichkeiten erkennbar machen, liegen in der Klinik bisher kaum vor. Die Blutuntersuchung von IgG-Titern bzw. Hauttests auf Nahrungsmittelallergene sollte nicht erfolgen, da Nahrungsallergien bei Erwachsenen sehr selten sind und die Tests für den Gastrointestinaltrakt eine nur geringe Empfindlichkeit aufweisen.
Wie können Zuckerunverträglichkeiten durch Wasserstoffatemtests nachgewiesen werden?
Antwort: Die Milchzuckerunverträglichkeit wird durch einen genetisch bedingten Enzymmangel (Laktase) in der Dünndarmschleimhaut bedingt, sodass der Milchzucker (Laktose) nicht gespalten und aufgenommen werden kann. Bei der Fruchtzucker- und Sorbitunverträglichkeit arbeitet ein Zuckertransporter in der Dünndarmschleimhaut zu langsam. Die unzureichende Aufnahme der Zucker im Dünndarm führt zum Transport der Zucker in den Dickdarm, wo sie durch die Darmbakterien vergoren werden und Beschwerden durch vermehrte Darmbewegungen, Stuhlverflüssigung bzw. Blähungen entstehen können. Der bei der Vergärung freiwerdende Wasserstoff wird in das Blut aufgenommen, zur Lunge transportiert und ausgeatmet. Die Wasserstoffkonzentration in der Ausatemluft ist also ein Indikator für die unzureichende Zuckeraufnahme im Dünndarm. Bei der bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung (SIBO) werden die Zucker bereits im Dünndarm vergoren, sodass die Wasserstoffkonzentration bereits in der Nüchtern-Ausatmungsluft erhöht ist oder nach Einnahme von Glukose bzw. Laktulose ansteigt.
Es ist zu beachten, dass auch bei Dünndarmentzündungen oder Schleimhautabbau sekundär eine Aufnahme der Zucker auftreten kann. Aus diesem Grund sollte immer eine glutenempfindliche Enteropathie (Zöliakie, Sprue) ausgeschlossen werden.
Wie können immunologisch vermittelte Nahrungsunverträglichkeiten nachgewiesen werden?
Antwort: Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Patienten mit Reizdarmsyndrom strukturelle Veränderungen in der Mukosa aufweisen können. So konnte bei Reizdarmpatienten eine unterschwellige Entzündung, aberrante nahrungsinduzierte Immunreaktionen und/oder erhöhte intestinale Permeabilität, vermehrte Mukosamastzellen bzw. Eosinophilenaktivierung nachgewiesen werden. Auch beim Reizmagen (funktionelle Dyspepsie) zeigten sich entsprechende Veränderungen in der Duodenalwand (u. a. Anstieg der epithelialen Lücken (gaps) und Erniedrigung des elektrischen Widerstands), sodass bezüglich der Pathogenese, die bisher überwiegend im Magen gesehen wurde, von einem Paradigmenwechsel gesprochen wird.
Das diagnostische Dilemma bei der Objektivierung von Nahrungsunverträglichkeiten in der Praxis/Klinik könnte durch eine neue Technik, nämlich die endoskopische konfokale Laserendomikroskopie (eCLE), vermindert werden. Mit dieser Technik kann während einer Magenspiegelung die Reaktion der Dünndarmschleimhaut auf Nahrungsbestandteile untersucht werden. Hier sind jedoch noch weitere Untersuchungen zur Klärung der klinischen Bedeutung notwendig. Das Prinzip dieser Technik ist die Laserendomikroskopie der Duodenalschleimhaut mit fortlaufender Darstellung der Kapillaren, Erythrozyten und Epithelzellen. Hierbei wird der Übertritt von intravenös appliziertem Fluorescein in das Duodenallumen und die Epithelabschilferung („cell shedding“) erfasst. Dies kann spontan („leaky gut“) oder nach lokaler Exposition der Duodenalschleimhaut mit Nahrungsallergenen, die über den Spülkanal auf die Schleimhautoberflächen gesprüht werden, erfolgen. Diese Schleimhautreaktion wird nach der aktuellen Vorstellung im Gegensatz zu den Atemtests zum Nachweis von Zuckerunverträglichkeiten über strukturelle Prozesse innerhalb der Darmwand vermittelt. So entwickeln Reizdarmpatienten nach duodenaler Nahrungsprovokation eine allergieähnliche lokale Reaktion, wobei die Serum-IgE-Tests unauffällig waren. Hierbei konnten vermehrte intraepitheliale Lymphozyten, eine hochregulierte Claudin-2-Expression, ein vermindertes Occludin-Protein und ein erhöhtes eosinophiles kationisches Protein nachgewiesen werden. Interessant ist, dass eine Diät mit Vermeidung der die lokale Schleimhautreaktion auslösenden Proteine die Beschwerden deutlich reduzierte.
Insgesamt bietet die endoskopische konfokale Laserendomikroskopie die Möglichkeit, nach individuellen Nahrungsunverträglichkeiten außerhalb einer Zuckerunverträglichkeit zu suchen. Die Ergebnisse müssen jedoch in größeren placebo-kontrollierten Studien geprüft werden.
Wie können Nahrungsunverträglichkeiten behandelt werden?
Antwort: Zu Beginn sollte immer eine diätetische Therapie anhand der Ergebnisse des Ernährungstagebuchs durchgeführt werden.
Die FODMAP-reduzierte Kost (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole) kann insbesondere bei Reizdarmpatienten die Beschwerden vermindern.
Häufig hilft auch eine ballaststoffreduzierte Kost mit Zugabe von nicht-blähenden löslichen Ballaststoffen.
Bei Verdacht auf ein Histaminintoleranzsyndrom (HIT) kann eine Ernährungsberatung mit Vermeidung von histaminhaltigen Lebensmitteln versucht werden.
Zeitbegrenzt und unter ärztlicher Aufsicht kann bei Patienten mit Ausschluss einer glutenempfindlichen Enteropathie (Zöliakie, Sprue) eine gluten- bzw. weizenreduzierte Kost versucht werden. Hier werden immunologisch vermittelte Nahrungsunverträglichkeiten vermutet (nicht-zöliakie-gluten- bzw. weizenempfindlichkeit, NCGS, NCWS), die Datenlage ist jedoch noch unklar.
Bei Nachweis von Zuckerunverträglichkeiten können die beschwerdeauslösenden Zucker durch eine Diät reduziert werden. Bei einer bakteriellen Dünndarmfehlbesiedlung (SIBO) kann eine Antibiotikatherapie durchgeführt werden.
Bei lokalen, nahrungsinduzierten immunologischen Reaktionen der Dünndarmschleimhaut während der endoskopischen konfokalen Laserendomikroskopie können die auslösenden Nahrungsmittel vermieden werden, und der Erfolg der Therapie kann durch eine nachfolgende Befragung kontrolliert werden. Auch hier ist die Datenlage jedoch noch unzureichend.
Abbildung
Einfluss von Nahrungsfaktoren auf den Verdauungstrakt
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Prof. Dr. Thomas Frieling
Internist, Gastroenterologe, Neurogastroenterologe und Palliativmediziner