ANTWORTEN AUF IHRE FRAGEN
Chronische Verstopfung
Wie häufig ist die chronische Verstopfung?
Antwort:Die chronische Obstipation ist eine der häufigsten Beschwerden in der Allgemeinbevölkerung und wird voraussichtlich rasant zunehmen. In Deutschland und Europa klagen zurzeit ca. 5–15% der Allgemeinbevölkerung über chronische Obstipation, wobei etwa 30% der betroffenen Patienten in Deutschland Abführmittel nutzen. Es ist zu erwarten, dass die chronische Obstipation in den nächsten Jahren ansteigen wird, da sie mit dem Alter zunimmt. Dies ist von großer Bedeutung, da die eingeschränkte Lebensqualität sowohl höhere direkte (Verschreibungen, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte) als auch indirekte Kosten (Arbeitsausfälle) verursacht.
Gibt es Fehleinschätzungen?
Antwort: Die chronische Obstipation ist von zahlreichen Mythen begleitet. Mythen der Obstipation sind unter anderem die Befürchtung einer Selbstvergiftung durch Stuhlverhalt, der Einfluss der Darmlänge auf das Stuhlverhalten oder der angeblich gefährliche Einfluss von Abführmitteln. Alle diese Annahmen haben sich wissenschaftlich nicht bestätigt.
Wann bin ich verstopft?
Antwort: Die alleinige Stuhlfrequenz ist zur Beschreibung unzureichend. Die normale Stuhlfrequenz kann zwischen 3 Stühlen pro Tag und einem Stuhlgang alle drei Tage stark variieren. Hier besteht ein großer Aufklärungsbedarf, da Patienten auch bei formal normaler Stuhlfrequenz ein Verstopfungsgefühl durch eine erschwerte Stuhlentleerung mit der Notwendigkeit des Pressens entwickeln können. Andererseits sind beschwerdefreie Patienten mit über mehreren Tagen ausbleibendem Stuhlgang nicht notwendigerweise verstopft und brauchen keine Angst zu haben. Häufig werden Patienten auch mit der Verdachtsdiagnose Durchfall vorgestellt, die jedoch durch eine Entleerungsstörung mit dem Absetzen mehrerer kleinerer Stuhlportionen (Pseudodiarrhoe) bedingt ist. Es ist zu berücksichtigen, dass ein Stuhlverhalt über Nervenverbindungen zum oberen Verdauungstrakt auch Funktionsstörungen von Magen und Dünndarm verursachen kann. Mit der chronischen Verstopfung sind daher häufig zusätzliche Symptome wie Dyspepsie, Blähgefühl bzw. Gasbildung, das Gefühl der unvollständigen Entleerung und Stuhlinkontinenz verbunden.
Welche Formen der Verstopfung gibt es?
Antwort: Eine allgemeingültige Einteilung der chronischen Verstopfung ist nicht etabliert. Eine klinisch nutzbare Einteilung ist die Unterscheidung zwischen einem trägen Darm mit Stuhlpassagestörung bzw. einer Stuhlentleerungsstörung bei Beckenbodensenkung und einer Kombination von Beidem. Es sollte immer eine genaue Überprüfung der Medikamente auf solche, die Obstipation auslösen können (z. B. Medikamente gegen Bluthochdruck, Herzschwäche, Lungenerkrankungen, Zuckererkrankung), erfolgen. Während die Stuhlentleerungsstörung in der Regel anhand von Bewegungsuntersuchungen (z. B. Beckenbodenstörung) oder Bindegewebs- und Muskelveränderungen des Beckens (z. B. Beckenbodensenkung, rektoanaler Prolaps) dargestellt werden kann, ist die Ursache des trägen Darms („slow transit constipation“) häufig schwieriger zu fassen, da die chronische Obstipation oft die Folge von mikroskopischen Veränderungen in der Darmwand selbst ist.
Wann muss ich zum Arzt gehen?
Antwort: In der Regel haben Patienten, die sich beim Arzt vorstellen, bereits Erfahrungen mit verschiedenen Abführmaßnahmen gesammelt. Wenn diese nach Vorschrift eingenommen und wirksam sind, ist keine Änderung notwendig. Trotzdem sind viele Menschen mit der Therapie unzufrieden und haben einen hohen Leidensdruck. In diesen Fällen sollte der Arzt aufgesucht werden.
Welche Untersuchungen müssen durchgeführt werden?
Antwort: Bei der Basisdiagnostik der chronischen Obstipation sollte das Stuhlverhalten genau erfasst und eine klinische Untersuchung inklusive Enddarmaustastung durchgeführt werden. Bei Frauen mit Obstipation und Unterbauchschmerzen sollte auch immer eine gynäkologische Untersuchung erfolgen. Die Vorsorgekoloskopie ab einem Alter von 50 Jahren sollte eingehalten werden. Bei starken Beschwerden, hohem Leidensdruck, Warnsymptomen (Gewichtsverlust, kürzlich begonnene Änderungen des Stuhlverhaltens, Blutabgänge) oder mangelndem Ansprechen der Beschwerden auf die Therapie sollten zeitnah weitergehende Untersuchungen erfolgen.
Nach der Basisdiagnostik kann eine probatorische Therapie erfolgen.
Wenn keine Warnsymptome bestehen, kann nach der Basisdiagnostik zunächst eine zeitlich begrenzte probatorische Therapie erfolgen. Diese Basistherapie der chronischen Obstipation beginnt mit Allgemeinmaßnahmen, die eine „gesunde Lebensweise“ mit ausreichender körperlicher Aktivität, Reduktion des Übergewichts und Vermeidung von Stress sowie eine „gesunde Ernährung“ mit ausgewogener Ernährung und ausreichender Flüssigkeitszufuhr beinhalten. Diese Empfehlungen können sowohl für die „slow transit constipation“ als auch für die „outlet obstruction“ im Einzelfall hilfreich sein, obwohl zu berücksichtigen ist, dass es wissenschaftlich keine sicheren Korrelationen zwischen Stuhlverhalten und Body Mass Index (BMI), Alter, Bewegung, Essmenge, Kalorienzufuhr, Flüssigkeitszufuhr, Psyche oder Stress gibt. Die Allgemeinmaßnahmen beinhalten auch die Optimierung der Ballaststoffzufuhr. Die Hypothese lautet, dass die Passagezeit mit zunehmendem Stuhlgewicht abnimmt. Ballaststoffe erhöhen durch Wasserbindung das Stuhlvolumen und sollen über eine Wanddehnung die Kolonmotilität anregen, die Passagezeit beschleunigen und durch bakteriellen Abbau die Bakterienmasse erhöhen. Ballaststoffe haben jedoch klinisch nur einen begrenzten Effekt und werden häufig aufgrund der Entwicklung von Meteorismus abgesetzt. Bei der Auswahl von Ballaststoffen sollte daher spezielle Aufmerksamkeit auf nicht-blähende Präparate (z. B. Flohsamen, lösliche Ballaststoffe) gelegt werden. Füll- und Quellstoffe, salinische, osmotische Laxantien bzw. Makrogole sind bei der Behandlung der „slow transit constipation“ etabliert und bewährt. Sorbit bzw. Sorbitol gelten als vergleichbare, aber preiswertere Alternativen zu Laktulose. Bei der Auswahl der osmotischen Laxantien sollten aufgrund der Effektivität und geringeren Nebenwirkungen Makrogole bevorzugt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Makrogole erst nach mehreren Tagen der Einnahme ihre stuhlfördernde Wirkung entfalten. Stimulierende Laxantien wie Diphenylmethan bzw. konjugierte Anthrachinonderivate (Bisacodyl, Natriumpicosulfat, Sennapräparate) gehören zu den am häufigsten verwendeten und potentesten Abführmitteln. Bei chronischer Obstipation richten sich Dosierung und Einnahmefrequenz nach dem individuellen Bedarf. Eine Begrenzung des Einnahmezeitraums ist unbegründet. Hier besteht Aufklärungsbedarf, da stimulierende Laxantien bei regelmäßigem Gebrauch sichere und effektive Medikamente sind. Die Bauchdecken-Colon-Massage und Akupunktur sollten bei chronischer Obstipation nicht als Standardtherapie empfohlen werden, da ihre Wirksamkeit nicht sicher belegt ist.
Trotz dieser unterschiedlichen therapeutischen Möglichkeiten sind zwischen 40 und 80% der Patienten mit der Behandlung unzufrieden, und über 60% der Ärzte beklagen unzureichende medikamentöse Therapieoptionen. Dies mag zum einen daran liegen, dass die Patienten nur unzureichend über ihr normales Stuhlverhalten aufgeklärt sind, und zum anderen daran, dass eine Stuhlentleerungsstörung nicht frühzeitig erkannt wird. So kann bei Hinweisen auf eine unvollständige Entleerung, einen Prolaps oder eine Überlaufinkontinenz ein Toilettentraining eingesetzt werden. Sinnvoll ist auch im Einzelfall die Stuhlimpaktierung durch einen Hebe-Senkeinlauf zu beseitigen. Patienten mit Obstipation durch eine Beckenbodendysnergie sollten Biofeedbacktraining erhalten.
Neue Entwicklungen
Grundsätzlich können die verschiedenen Therapieprinzipien stufenweise oder auch kombiniert eingesetzt werden (s. Abb.). In letzter Zeit wurden neue medikamentöse Wirkprinzipien bei der Behandlung der Obstipation untersucht. Interessante Neuentwicklungen stellen hierbei die Entwicklung von Substanzen mit sekretionsförderndem Effekt bzw. Prokinetika dar. Diese Substanzen können gegeben werden, wenn die bisherige konventionelle Therapie nicht ausreichend effektiv oder schlecht verträglich war. Zu diesen Präparaten gehören das in den USA für das obstipationsdominante Reizdarmsyndrom zugelassene Lubiproston (Amitiza®), das spezifische Chloridkanäle an der apikalen Seite des Epithels stimuliert, und das noch nicht zugelassene Linaclotide, das die Chloridsekretion im Kolon durch Aktivierung der Guanylatzyklase erhöht. Metaanalysen zeigen, dass diese Substanzen das Stuhlverhalten gegenüber Placebo signifikant verbessern. Mittlerweile wurde auch Prucalopride (Resolor®), das kein klassisches Laxans ist, sondern als Koloprokinetikum über eine selektive Stimulation der 5-HT4-Rezeptoren die Obstipation vermindert, für die therapierefraktäre Verstopfung in Deutschland zugelassen. Hierbei zeigen die Zulassungsstudien und eine Metaanalyse einen signifikanten Therapiebenefit hinsichtlich des Stuhlverhaltens, der Begleitsymptome und der Lebensqualität. Interessant ist auch eine vergleichbare signifikante Wirkung bei opiatinduzierter Obstipation. Relevante, insbesondere kardiale oder angiologische Nebenwirkungen wurden bisher nicht beobachtet. Kombinationen neuer medikamentöser Therapien mit konventionellen Mitteln können in Abhängigkeit von Effektivität und Nebenwirkungen versucht werden. Bei schwerer refraktärer opiatinduzierter Obstipation können auch periphere Opiatantagonisten (Methylnaltrexon, Alvimopan, Naloxon) eingesetzt werden.
Trotz der vielfältigen und differenzierten Therapiemöglichkeiten finden sich in der Praxis immer wieder Patienten, die auf keine der Therapiestrategien befriedigend ansprechen.
Dies sind Problemfälle, bei denen bei einer „slow transit constipation“ eine Stuhlentleerung nur über regelmäßige Einläufe bzw. Kolonlavagen erreicht werden kann, oder bei denen bei einer „outlet obstruction“ eine vollständige Defäkation aufgrund ausgeprägter Beckenbodensenkung, rektoanalen Prolaps oder Rektokele nicht erzielt werden kann. Bei diesen Patienten ist eine interdisziplinäre Beurteilung, möglichst in einem Kontinenz- bzw. Beckenbodenzentrum, sinnvoll. In der Regel ist bei diesen Patienten eine differenzierte Diagnostik zur rationalen Beurteilung des Krankheitsbildes und der Therapiefindung notwendig. Die chirurgischen Optionen bei Stuhlentleerungsstörungen beinhalten verschiedene Formen der Beckenbodenplastik, Rektopexie, Wiederherstellungsverfahren des rektovaginalen Septums sowie die Entfernung „überschüssigen Rektumgewebes“. Hierbei erfreut sich insbesondere die transanale Staplermukosektomie nach STARR mit Erfolgsraten zwischen 60 und 90% zunehmender Beliebtheit.
Die chirurgischen Therapiemöglichkeiten der „slow transit constipation“ gestalten sich schwieriger. Grundsätzlich ist vor resezierenden Verfahren (Proktrektomie, Sigmaresektion, Kolektomie, Proktokolektomie, Reduktionsrektoplastiken) bei Megarektum–Kolon bzw. Sigma elongatum zu warnen. Es besteht die Gefahr, dass die Therapieziele nicht erreicht werden und die Beeinträchtigung des Patienten durch nicht mehr reparable Nebenwirkungen verschlechtert wird. Auf der anderen Seite gibt es jedoch (wenige) Patienten, die auf alle derzeit verfügbaren konservativen Maßnahmen nicht ansprechen und bei denen eine chirurgische Therapie diskutiert wird. Hier muss vor einer Operation auf jeden Fall eine generalisierte Motilitätsstörung, insbesondere eine Dünndarmmotilitätsstörung durch Dünndarmmanometrie (z. B. chronische intestinale Pseudoobstruktion, CIPO) ausgeschlossen werden, da in diesem Fall eine Kolektomie kontraindiziert ist. Vor einer geplanten Kolektomie kann im Einzelfall probatorisch laparoskopisch ein doppelläufiges Ileostoma angelegt werden, um den wahrscheinlichen Erfolg einer Resektion zu evaluieren. In diesen Fällen ist eine enge Zusammenarbeit mit vernetzten klinischen und grundlagenwissenschaftlichen neurogastroenterologischen Zentren erforderlich.
Interessant ist die Etablierung der Sakralnervenstimulation. Diese Technik, die primär zur Therapie der Stuhlinkontinenz entwickelt wurde, kann offensichtlich auch im Einzelfall günstige Effekte bei der chronischen Obstipation haben.
Abbildung: Stufentherapie der chronischen Obstipation
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Prof. Dr. Thomas Frieling
Internist, Gastroenterologe, Neurogastroenterologe und Palliativmediziner